Patt in Duderstadt

2022-11-06
Lesezeit: 8 min

Das Management der einstigen Vorzeigefirma wechselte Ottobock-Patriarch Hans Georg Näder Knall auf Fall. Die Börsenträume sind geplatzt. Der erratische Unternehmer führt den Private-Equity-Giganten EQT vor.

Unternehmen Und Management, manager magazin, November 2022 von Dietmar Palan

Das Management der einstigen Vorzeigefirma wechselte Ottobock-Patriarch Hans Georg Näder Knall auf Fall. Die Börsenträume sind geplatzt. Der erratische Unternehmer führt den Private-Equity-Giganten EQT vor.

Wenn man manchen seiner Geschäftspartner Glauben schenken will, dann ist Hans Georg Näder (61) ein Mann m it einem Hang zu exzentrischen Auftritten und spontanen Entscheidungen. So soll der Mehrheitseigner und Verwaltungs- ratspräsident des Prothesenherstellers Ottobock schon barfuß zu geschäftlichen Verabredungen erschienen sein, wozu das Unternehmen keinen Kommentar abgibt. Interviews mit ihm können in Schimpftiraden münden, auf Fragen, die ihm nicht passten, antwortete er solange nicht, bis die Fragesteller das Gespräch beendeten. Ähnlich impulsiv wirken bisweilen sein Investitionsstil und Ausgabeverhalten. Was gestern unverrückbar schien, kann heute völlig anders aussehen. Zwischen Privatleben und Unternehmerdasein scheint Näder in dieser Beziehung keine großen Unterschiede zu machen.

Im Sommer 2018 etwa lieh er dem Schifffahrtsund Handelsunternehmer Cornelius Bockermann (63) eine halbe Million Euro. Mit dem Geld sollte der einen alten Gaffelschoner auf große Fahrt zwischen Europa und Südamerikas schicken und einen Handel mit Rum, Honig und Kaffee aufziehen. Das passende Schiff, den 1914 gebauten und schwer renovierungsbedürftigen Dreimaster „Anny von Hamburg“, hatte Näder sich bereits zugelegt. Bockermann sollte es für ihn betreiben. Ein paar Monate später überlegte es sich Näder anders und forderte die geliehene Summe zurück. Bockermann konnte nicht zahlen und musste für seine Handelsgesellschaft Timbercoast Insolvenz anmelden. Statt nach Südamerika zu segeln, soll das 38 Meter lange Liebhaberteil nun irgendwann einmal als Mu- seumsschiff festmachen – wenn Näder zwischenzeitlich nicht wieder etwas Neues einfällt.

Auch bei seiner Craftbeerprojekt „Heimatliebe“ fiel er allem Anschein nach von der Euphorie des „Himmelhoch jauchzend“ in den Zustand des „zu Tode betrübt“. Bis vorvergangenen Sommer wollte er die Mikrobrauerei in großem Stil ausbauen und neben Gerstensaft auch Brause fabrizieren. Sogar die Bebauungspläne hatte der Stadtentwicklungsausschuss in Näders Heimatort Duderstadt schon geändert. Anfang März 2022 setzte er wieder alles auf Anfang, deklarierte die Expansionspläne in einer, wie er selbst formulierte, „faktenbasierten Entscheidung“ als wirtschaftlich nicht mehr tragfähig und trennte sich von Brauhaus samt Markenrechten.

Seine bislang spektakulärste Kehrtwende folgte gut zweieinhalb Monate später. Rund elf Millionen Euro hatte er freigegeben, um den Börsengang seiner Hauptunternehmung Ottobock vorzubereiten, ein Großteil ging für Beraterhonorare drauf. Allein um die Bilanzierung von den Paragrafen des Handelsgesetzbuches auf die international gängigen IFRS-Regeln umzustellen, war laut Konzerninsidern eine niedrige zweistellige Zahl von Experten der Prüfungsund Beratungsfirma KPMG unterwegs. Weitere Millionen wurden in der Bilanz für Mitarbeitertantiemen zurückgestellt, die ursprünglich für das Erreichen der Börsenreife ausgelobt worden waren. Von den 40 Millionen, die für 2021 zusätzlich in die Position „sonstige Rückstellungen“ eingestellt wurden, dürften drei Viertel auf Tantiemen im Zusammenhang mit dem geplanten und dann wieder abgesagten IPO entfallen sein.

Am 19. Mai kippte er den Börsengang. Angesichts der Umstände wohl verständlich: Ein IPOErlös zwischen sechs und acht Milliarden Euro, mit dem die Investmentbanker von Goldman Sachs, der Deutschen Bank und der BNP Paribas Näder gelockt hatten, wären nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine wohl illusorisch gewesen.

Als großer Verlierer darf sich EQT-Deutschland-Chef Marcus Brennecke (61) fühlen. Im Sommer 2017 kaufte sich das schwedische Private-Equity-Haus mit 20 Prozent in Näders Firma ein und zahlte dafür mehr als 200 Millionen Euro. Dabei hatte Brennecke seinem Partner wohl größere Mitspracherechte zu- gestanden, als es andere am Bieterverfahren beteiligte Investoren wie CVC oder Advent zugelassen hätten. Für Brennecke, ambitionierter Hobbysegler wie Näder selbst, realisierte sich damit ein von Beginn an lauerndes Risiko: die kaum kalkulierbare Sprunghaftigkeit des Mehrheitsaktionärs.

Praktisch parallel zur Absage des Börsengangs richtete Näder personelles Chaos an der Konzernspitze an. Der Weg an die Börse wird damit eher verlängert als verkürzt – genauso Brenneckes Zeit an der Seite Näders. CEO Philipp Schulte-Noelle (46), Finanzfrau Kathrin Dahnke (61), die über Monate hinweg versucht hatten, das Finanzmarktdebüt zu retten, bekamen ihre Papiere, ebenso Entwicklungschef Andreas Goppel – nach außen verlief der Abschied, wie so oft in ähnlich gelagerten

Fällen, im besten Einvernehmen. Noch Mitte Mai hatte CFO Dahnke in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt“, das sie ohne das Einverständnis Näders wohl nie geführt hätte, sowohl die Kapitalmarktreife bekräftigt, als auch die IPO-Pläne bestätigt. Der gelernte Industriekaufmann Oliver Jakobi (46), der Schulte-Noelle ablöste, dürfte wenig mehr als eine Übergangslösung sein. Lange mit Näder befreundet, folgte er dem Ruf des Patriarchen wohl eher aus Loyalität denn aus tiefer innerer Überzeugung. So sehen es jedenfalls Leute im Unternehmen, die ihn gut kennen.

Arne Kreitz (42), der neue CFO gilt als Spezialist für Fusionen und Übernahmen, kam aber mit klassischen CFO-Aufgaben wie Finanzierung und Bilanzierung bislang eher spärlich in Berührung. Die Rolle des Entwick- lungschefs übernahm der intern als ruppig verschrieene Produktionsmann Arne Jörns zusätzlich zu seinem bisherigen Job.

Schweigen und Leiden

EQT-Mann Brennecke erträgt die Soloeinlagen des Mehrheitsaktionärs dem äußeren Anschein nach klaglos. Es bleibt ihm auch nicht viel anderes übrig. Jedes offen ausgetragene Zerwürfnis würde den Wert seines Pakets weiter de- zimieren. Damit hinterlässt er allerdings bei den Investoren seiner Fonds auch den Eindruck, dass er der erratisch wirkenden Näder-Herrschaft so gut wie nichts entgegensetzen kann. Unternehmenskenner, die Brennecke und Näder nahestehen, betonen immer wieder, dass der Einfluss von EQT weit über die nominellen 20 Prozent hinausgeht und auch, dass Näder sich in der Regel nicht groß einmischt ins Geschäft. Doch bei der Besetzung des Spitzenpersonals haben Brennecke und sein Statthalter Johannes Reichel (41) so gut wie kein Mitentscheidungsrecht. Am Ende setzte offensichtlich immer der Patriarch seine Vorstellungen durch. Das fing schon mit der Ablösung des früheren Consultants Oliver Scheel (54) an. Der hatte Näder 2018 als CEO abgelöst und den nach einem Private-EquityEinstieg üblichen harten Sanierungskurs eingeschlagen. Es dauerte nicht lange, bis er aneckte. Zu anspruchsvoll, zu fordernd, zu unkommunikativ sei Scheels Stil gewesen, sagen Näders Leute. Nach noch nicht einmal einem Jahr war Schluss. Schulte-Noelle, der selbst mit einem Private-Equity-Hintergrund aufwarten kann, hielt Näder zwar auf Distanz, das besondere Vertrauensverhältnis, das Näders Umfeld dabei anfangs ausgemacht haben wollte, scheint dabei allerdings so lange unter den ständigen Emanzipationsversuchen des CEOs gelitten zu haben, bis es wohl irgendwann nichts mehr zu reparieren gab. Und Ex-CFO Dahnke, die, bevor sie bei Gildemeister und Osram ins Rampenlicht einer Börsenfirma trat, jahrelang für Ottobock gearbeitet hatte, engagierte Näder im Sommer 2021 ganz offenbar ohne erkennbare Begeisterung seiner Private Equity-Partner. Die mochten anschließend in vertraulichen Gesprächen kaum etwas positives über die Finanz- frau sagen. Das Unternehmen betont, die Berufung sei einstimmig erfolgt.

Näders Welt, so wie sie ihm gefällt

Im Ergebnis entwickelt sich Ottobock auch wegen der ständigen Personalwechsel an der Spitze deutlich schwerfälliger, als es EQT üblicherweise von seinen Mehrheitsbeteiligungen erwartet. Für das Jahr 2017, dem Jahr des EQT-Einstiegs, liegt die Umsatzrendite von Näders Konzern, dessen wirt- schaftlicher Erfolg von der operativen Performance des Geschäftsbereichs Ottobock dominiert wird, noch bei 24 Prozent; und schon dieses Ergebnis ist nur begrenzt aussagefähig: Ausgewiesen wurde es in der Bilanz der Holding, über die Näder und seine Familie ihre Anteile an der Ottobock SE & Co KGaA halten und deren wirtschaftlicher Erfolg von der operativen Performance des Prothesenherstellers dominiert wird. Möglich war die hohe Rendite nur deshalb, weil der Verkauf der OttobockAnteile an EQT und die Veräußerung des von Näders Vater gegründeten Kunststoffgeschäfts damals als außerordentlicher Ertrag in die Konzernrechnung einfloss.

In den beiden darauffolgenden Jahren war das Ergebnis der Holding rot. Der letzte im Bundesanzeiger veröffentlichte Geschäftsbericht zeigt für 2020 eine Umsatzrendite knapp oberhalb der Nulllinie. Im gleichen Zeitraum sank das Eigenkapital um knapp 40 Prozent von 593 auf 360 Millionen Euro, zugleich stieg die Summe der Verbindlichkeiten um ein Drittel von 710 auf 946 Millionen Euro. Den nach IFRS-Regeln erstellte Jahresabschluss des Jahres 2021, der den klarsten Blick über den tatsächlichen Zustand des verhinderten Börsenaspi- ranten bieten könnte, hält Näder unter Verschluss. Dies könnte, so sehen es jedenfalls Insider, die Einblick in das Zahlenwerk der Ottobock SE & Co KGaA hatten, vor allem daran liegen, dass die Eigenkapitalquote nach den IFRS-Regeln noch schwächer aussehen soll als nach den HGB-Standards. Das Unternehmen hält die beiden Zahlenwerke für nicht vergleichbar und beantwortet die dazu gestellten Fragen nicht.

Selbst Näder scheint mit dem Zustand von Ottobock keineswegs zufrieden zu sein. Von nun an, kündigte er nach dem Vorstandsbeben im Frühjahr an, werde wieder mehr Wert auf Disziplin und operative Exzellenz gelegt. Unternehmensinsidern zur Folge soll er vor wenigen Wochen Einsparziele von 30 Millionen Euro verkündet haben. Damit wäre dann aus Näders Sicht ein Börsengang im dritten Quartal des kommenden Jahres möglich. Das Unternehmen will weder etwas zu den Kostenkürzungen noch zu einem möglichen IPO-Termin etwas Substanzielles sagen. Dabei betonen Leute, die Näder nahestehen, dass er finanziell nicht auf den Erlös eines Börsengangs angewiesen sei. Der Unternehmer habe demnach seine Finanzierung über frische Kreditvereinbarungen mit mehreren Großbanken für die kommenden fünf Jahre gesichert.

Dennoch scheint er sich finanziell zumindest etwas verkleinern zu wollen. Sein einstiger Seglerstolz, die 54-MeterJacht „Pink Gin VI“ steht zum Verkauf. 29,5 Millionen Euro rief er laut Boat International zuletzt auf. Das Interesse für den aus Carbon gefertigten Einmaster scheint sich allerdings in Grenzen zu halten. Angeboten wurde das Boot bereits im Spätsommer 2020. Damals lag die Preisvorstellung noch bei 45 Millionen Euro.

Näder samt Familie aus der Mehrheitsposition herauszudrängen, dürfte schlicht außerhalb der Möglichkeiten von EQT liegen. Der Unternehmer selbst hält seine Tochter Georgia für die geborene Nachfolgerin als Firmenlenkerin. Die hat zwar ihr Betriebswirtschaftsstudium, das sie unter anderem in Barcelona und Kopenhagen verbrachte, abgeschlossen, ist aber erst 25. Vor Hobbysegler Brennecke, der auf ein Gesprächsangebot von manager magazin nicht reagierte, liegt also noch viel raue See.