manager-magazin.de, 24 November 2021, “Ottobock - auf Krücken an die Börse”, Von Dietmar Palan und Thomas Werres
Für den Börsengang inszeniert Hans Georg Näder den Prothesenhersteller als Tech-Überflieger. Der Großaktionär und der Finanzinvestor EQT streben eine spektakuläre Bewertung an. Doch die Substanz ist mäßig. Und es gibt ein personelles Risiko.
Lange kannten sich die beiden Männer nahezu ausschließlich vom Hörensagen, auch wenn ihre Leidenschaft fürs Segeln sie verbindet. Hans Georg Näder (60), Eigentümer der OttobockFirmengruppe, ist stolzer Besitzer der größten Einmast- und Carbon-Jacht der Welt, der “Pink Gin VI”, konstruiert und gebaut auf der finnischen Bootswerft Baltic Yachts, gleichfalls in seinem Besitz. Marcus Brennecke (ebenfalls 60), gewichtigster Partner des Deutschland-Arms des schwedischen Finanzinvestors EQT und einer der wohlhabendsten Private-Equity-Manager der Republik, gewann vergangenes Jahr mit seinem Boot “Hatari” die Segel-Weltmeisterschaft in der sogenannten ClubSwan-50-Klasse.
Näher war man sich nicht gekommen. Zu unterschiedlich fallen die Charaktere aus. Der meist von einem langen Seidenschal umwehte Exzentriker Näder hat überhaupt keine Scheu, seinen Reichtum ganz offen zur Schau zu stellen. Brennecke hingegen hält sich als scharfer Firmenoptimierer lieber unterhalb des Radars der breiten Öffentlichkeit.
Zusammen brachte die beiden ein gemeinsamer Bekannter, Peter Harf, (75), vor allem als Konzernarchitekt des Reimann-Clans auffällig geworden. Im Herbst 2016 ergab sich schließlich eine Gelegenheit, bei der geschäftliche und private Interessen von Brennecke und Näder ineinanderflossen. Näder brauchte Liquiditätsnachschub für seine zahlreichen extravaganten wie teuren Hobbys und Unternehmungen. Brennecke war wie stets auf der Suche nach dem nächsten Investment. Und ausgerechnet bei Näders Firma Ottobock schienen die Aussichten vielversprechend zu sein.
Besonders erpicht ist der Private- Equity-Mann auf Unternehmen, die – ganz dem Zeitgeist folgend – einem guten Zweck dienen. Kaum ein anderes Ziel könnte da geeigneter sein als ein Medizintechniker und Prothesenspezialist, dessen “Purpose” es von jeher ist, den Lahmen wieder Beine zu machen. Anlässlich eines gemeinsamen Trips auf einer der Jachten Näders in den Gewässern vor den Küsten Sardiniens kamen Lebemann und Finanzier schließlich per Handschlag überein, dass EQT sich in Näders Firma einkaufen würde.
Gut fünf Jahre später plant das Duo seine Trennung. Nicht als Rosenkrieg, sondern als Kapitalmarktfeuerwerk. Voraussichtlich im Frühjahr wollen beide Kasse machen und Ottobock-Anteile zu Höchstpreisen an die Frankfurter Börse segeln lassen. Es soll ein Spektakel mit internationalem Widerhall geben. Ottobock soll als europäischer Hidden Champion daherkommen, als eine Firma,die Rollstuhlfahrer mithilfe künstlicher Intelligenz – Fachleute sprechen von Bionic-Prothesen – von ihrem Handicap erlöst. Und im Falle von Sportlern bei den Paralympics sogar zu Höchstleistungen beflügelt.
Pitch mit Deutsche-Bank-Chef
Internationale Großbanken rissen sich im Vorfeld darum, Ottobock das Geleit zum IPO zu geben. Die Deutsche Bank, die neben Goldman Sachs und BNP Paribas den Zuschlag erhielt, schickte eigens Vorstandschef Christian Sewing (51) zum Beauty Contest. Inzwischen laufen sich die professionellen Anpreiser warm: “Das ist so ein großartiges Ding für Deutschland. Wenn das funktioniert, dann wird die Welt wieder sagen: Mein Gott, dieser deutsche Mittelstand! Unfassbar, was da so alles drinsteckt”, tönt einer der Ihren.
Tatsächlich ist auch reichlich Blendwerk im Spiel. Hinter dem Marketinggetöse verbirgt sich ein in der Vergangenheit nicht selten verlustreiches Unternehmen mit mäßiger Substanz und magerem organischen Wachstum.
Das größte Risiko für die Anleger ist der eigenwillige Unternehmer Näder, der weiterhin die Mehrheit und damit auch das letzte Wort behalten will. Der Kapitalmarkt erwartet von einem Börsenaspiranten ein dynamisches Management, das eigenständig agiert, allen Anteilseignern das gleiche Maß an Transparenz bietet sowie Gestaltungs- und Mitspracherechte einräumt.
Doch Näder dürfte es schwerfallen, sich in seine neue Rolle zu fügen. Schon in den Verkaufsgesprächen mit EQT hatte er unmissverständlich klargemacht wen er als Piloten sieht (sich selbst) und wen als Co-Piloten (Brennecke und Gefolgschaft). Der ehrgeizige Vorstandschef Philipp Schulte-Noelle (45), Sohn von Allianz-Urgestein Henning Schulte-Noelle (79), der mit dem Börsengang seine ebenso junge wie steile Karriere krönen möchte, könnte in der Rolle des bloßen Umsetzers verbleiben, die er seit seinem Amtsantritt spielt.
Starker Verkäufer: Der ehrgeizige und durchaus smarte Ottobock-CEO Philipp Schulte-Noelle soll Vertrauen unter Anlegern wecken Foto: PR
Im schlimmsten Fall droht der Ottobock-Börsengang deshalb zum Lehrstück dafür zu werden, wie ein überschießender Patriarch mit Geltungsdrang und Cash-Bedarf, Kapitalmarkt und Anleger zur Behebung einer Misere anzapft, die er selbst mit verursacht hat. An der Zähmung Näders versuchten sich schon eine ganze Reihe von Managern. Die meisten hielten es nicht lange aus. Oliver Scheel (53) etwa, der von Näder Anfang 2018 das Kommando bei Ottobock übernahm, blieb gerade mal zehn Monate. Auf dem Posten des Finanzvorstands wechselten sich seit 2016 fünf Männer und eine Frau ab. Näder führt nicht, er herrscht. Entscheidungen trifft er gern aus dem Bauch heraus. Von dem Hotel etwa, in dem er während der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien zu nächtigten gedachte, war er so begeistert, dass er es gleich kaufte. Anschließend wollte er das “Maria Santa Teresa Guest House” abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Er überlegte es sich aber anders und nutzt es heute als privates Gästehaus. Mitunter liegt der Unternehmer sogar richtig, stößt wegweisende orthopädische Neuerungen an. Dafür lässt er sich dann auch ausgiebig feiern. Privat, wenn er zu einer Festivität in das auf der griechischen Halbinsel Pilion gelegene Hotel “Damouchari” bittet, das einst als Kulisse für die Filmversion des Abba-Musicals “Mama Mia” diente. Öffentlich, wenn ihm sein 60. Geburtstag eine 48 Seiten starke Verlagsbeilage im “Göttinger Tageblatt” wert ist.
Allerdings sind auch seine Schattenseiten nie weit entfernt. “Näder ist sehr barock, nicht einfach im Umgang und auch besonders beratungsresistent”, sagt ein Berater, der eng mit ihm zusammengearbeitet hat: “Einen wie ihn kann man nicht streamlinen.”
Diese Erfahrung musste auch der hartgesottene Minderheitsgesellschafter EQT (20 Prozent) machen. Immer wieder kamen die Private-Equity-Leute mit Näder am “Küchentisch” zusammen, um ihre Meinungsverschiedenheiten über Zustand und Zukunft der Firma zu schlichten. Brennecke und Statthalter Johannes Reichel (40) hätten das Unternehmen offenbar gern radikaler umgebaut, etwa das Geschäft mit Rollstühlen abgetrennt, das die Gewinnlinie in der Vergangenheit oft verfehlte. Doch Näder sperrte sich.
Eingebremster Investor
Bei anderen Abenteuern ließ sich Näder dagegen schlicht nicht aufhalten. Zum regelrechten Fiasko geriet ihm der Kauf der USFirma Freedom Innovations, für die er im September 2017 fast 72 Millionen Dollar ausgab. Der Erwerb war so schlecht vorbereitet, dass die Federal Trade Commission (FTC) in Washington Ottobock zwang, den Zukauf ohne Festsetzung einer Preisuntergrenze wieder abzustoßen.
Erst Mitte Dezember vergangenen Jahres gelang der Schnitt. Der Erlös für die Reste der zerbröselten Firma blieb vernachlässigenswert gering. In der Zwischenzeit musste Näder jährliche Verluste und Verfahrenskosten in zweistelliger Millionenhöhe decken. Der ursprüngliche Kaufpreis ist inzwischen vollständig abgeschrieben. Reichel und Schulte-Noelle blieben zum Zuschauen verdammt.
An noch größere Projekte wie den Erwerb der US-Adresse Hanger, gemessen am Umsatz etwa gleich groß und auf den Vertrieb und die Anpassung von Prothesen spezialisiert, wagten sich Näder und die EQT-Leute anschließend erst gar nicht heran. Kartellrechtliche Gründe werden bis heute schmallippig angeführt. Dabei war der Hanger-Erwerb fester Bestandteil der Kalkulation, mit der sich die Private-Equity-Häuser Carlyle und CVC 2016 parallel zu EQT um den Einstieg bei Ottobock bemüht hatten.
Innerhalb von vier Jahren gelang es Brennecke und Reichel im Wesentlichen nur, Einkauf und IT einigermaßen zu modernisieren. Bei kleineren Zukäufen durften sie mit Expertise zur Seite stehen. Die vergleichsweise hohe Kostenbasis wurde kaum angefasst. Mehr war nicht drin. “Wir sind bei der Effizienzverbesserung immer noch am Anfang”, sagt ein Manager. Auf einer von eins (schlecht) bis zehn (exzellent) reichenden Skala käme das Unternehmen heute allenfalls auf einen Wert zwischen drei und vier. Reichel, der Brennecke in diesem Jahr im Aufsichtsrat von Ottobock ablöste, muss sich von Näder gelegentlich wie ein Filius behandeln lassen, der noch ein paar Lektionen in visionärer Betriebswirtschaftslehre nötig hat, bevor er selbst laufen kann.
In abgeschwächter Form gilt das offenbar auch für Schulte-Noelle. Einmal im Monat kommen er und Näder zum Jour fixe zusammen. In den Augen Näders ist der Mann wohl vor allem dafür da, den laufenden Betrieb zu organisieren und ihm die Beschwernisse des Alltags vom Leib zu halten. Für das Große und Ganze scheint Näder sich selbst für am besten befähigt zu halten. Dabei hat er einen Hang zu abwegigen Ideen. So gliederte er vor Jahren seine auf Hochleistungssegler spezialisierte Werft Baltic Yachts in die Holding ein und pries deren Erfahrung beim Verarbeiten von Carbonwerkstoffen als Innovationsmotor für den Prothesenbauer.
Entscheidungen seiner Manager warf er mit steter Regelmäßigkeit schon über den Haufen, als er noch selbst im operativen Kommandostand hantierte. Nach längeren krankheitsbedingten Ausfällen oder ausgedehnten Segelreisen hieß es immer wieder mal: Alles auf Anfang.
Daran hat sich auch nach Näders Rückzug an die Spitze des Verwaltungsrats offenbar nicht viel geändert. Wiederholt funkteer seinem CEO dazwischen. Mal versuchte der Patron, Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu reanimieren, von denen sich die Unternehmensspitze schon verabschiedet hatte. Mal ging es um Standorte, deren Schließung längst beschlossene Sache war. Ende vergangenen Jahres stellte er den CIO wieder ein, den sein damaliger Finanzchef noch kurz zuvor aus der Firma hinauskomplimentiert hatte. Erst mit dem Börsengang vor Augen stimmte Näder dem Vorschlag Schulte-Noelles zu, einen Teil der Produktion ins kostengünstigere Bulgarien zu verlagern. Selbst in der Außendarstellung düpiert Näder Schulte-Noelle zuweilen ungeniert. So bejubelte Näder kurz nach Bilanzschluss für das Jahr 2018 einen Ebitda-Rekordwert von 174 Millionen Euro für die gerade abgelaufenen zwölf Monate. Als der Geschäftsbericht von Näders Konzernholding knapp anderthalb Jahre später im “Bundesanzeiger” erschien, offenbarte sich, dass die Holding, deren Gewinn-und-Verlust-Rechnung “vom Geschäftsbereich Ottobock dominiert” wird, einen Nachsteuerverlust von 107 Millionen Euro verbuchen musste. Trotzdem kassierte Näder eine Dividende von 41 Millionen Euro. Auch die Bilanzpräsentation blieb vom Einfallsreichtum des Patriarchen keineswegs verschont. Veröffentlicht wurde bislang nur, was gerade passt. Ertrags- und Gewinnzahlen muss man sich zusammensuchen – aus der Konzernbilanz der Familienholding und dem Einzelabschluss der operativen Ottobock SE &Co. KG. Ein erheblicher Teil des Medizintechnikumsatzes der OttobockGruppe entfällt auf Tochtergesellschaften, für die keine Publizitätspflicht besteht und die deswegen erst gar keine Zahlen veröffentlichen.
Prüfer über zwei Jahrzehnte
Forschungs- und Entwicklungsausgaben wurden dabei gern großvolumig im Anlagevermögen verbucht statt in der Gewinnund-Verlust-Rechnung. Dieser zwar völlig legale, aber als aggressiv verschriene Aufbau von Bilanzvermögen führt zunächst dazu, dass die Gewinne im Jahr der Aktivierung überproportional steigen. Die Quittung folgt in den Jahren danach in Form regelmäßiger Abschreibungen. Die schmälern das Ergebnis dann wieder deutlich.
In seinen Pressemitteilungen lässt Näder die Geschäftsentwicklung deshalb vorwiegend in Ebitda-Zahlen nachzeichnen, bei denen die Abschreibungen ausdrücklich herausgerechnet werden (genauso wie Steuern und Zinszahlungen). Was am Ende auch die Erklärung für das Auseinanderklaffen der in rosa gehaltenen Gewinnmitteilungen und der rot angestrichenen Bilanzen liefert.
Was die Prüfung seiner Bücher angeht, konnte sich Näder lange auf die Dienste von Andreas Spielmann verlassen. Der langjährige Leiter der Dortmunder Niederlassung der Wirtschaftsprüfungsund Consultingfirma EY testierte die nach den Regularien des deutschen Handelsgesetzbuchs erstellten Bilanzen von OttobockHolding und Ottobock Healthcare über gut zwei Dekaden hinweg. EY verteidigt das Langzeitmandat damit, dass die OttobockGruppe weder börsennotiert ist noch als ein Unternehmen von öffentlichem Interesse angesehen werden kann. Spielmann war in dieser Zeit gern gesehener Gast auf Näders Festivitäten. Dass in den im “Bundesanzeiger” veröffentlichten Geschäftsberichten in manchen Fällen die Zahlen zwischen Anhang und Bilanz nicht zusammenpassten, scheint das Zusammenspiel nie getrübt, noch scheint sich irgendjemand daran gestört zu haben. Erst 2021 gab Spielmann mit seinem altersbedingten Ausscheiden bei EY das Mandat ab. Stattdessen engagierte Näder ihn zum 1. November als Geschäftsführer der Näder Holding.
Die ständigen Volten des Eigentümers bekamen dem Unternehmen allerdings nicht wirklich. Die Finanzkennzahlen der vergangenen vier Jahre zeigen ein streckenweise bemitleidenswertes Bild. Anstelle einer Wachstums-Company präsentiert sich ein eher stagnierendes Gebilde. An Volumen hat die Medizintechnikfirma vor allem durch kleinere Zukäufe unter anderem von Sanitätshäusern zugelegt. Der Umsatz pendelt um die Marke von einer Milliarde Euro. Unter dem Rubrum Gewinn nach Steuern stößt man in den beiden zuletzt veröffentlichten Berichten der Holding auf zwei- und dreistellige Millionenverluste.
Schon seit Jahren schmilzt die Eigenkapitalquote dahin, vor allem weil die Verschuldung in der SE drastisch anstieg. Zwischen 2016 und 2019, dem zuletzt publizierten Jahresabschluss der Ottobock Healthcare, hat sie sich nahezu verdreifacht, auf rund eine Milliarde Euro. 661 Millionen pumpte sich die Firma allein bei den Banken zusammen. 23 Millionen Euro steuerte EQT als Brückenfinanzierung bei, die wohl Anfang kommenden Jahres fällig wird.
Dabei ist der Anstieg des Schuldenaufkommens nur zum kleineren Teil mit Investitionen in die Zukunft des Unternehmens zu erklären. Ein Großteil der Belastung rührt von den regelmäßig hohen Ausschüttungen an die Hauptgesellschafter her. Den größten Batzen von rund 225 Millionen Euro genehmigte sich Näder 2017, im Jahr des EQT-Einstiegs. Das Loch in der Bilanz schüttete er anschließend wieder mit Fremdkapital zu. Selbst für das Corona-Jahr 2020 zahlte das Unternehmen insgesamt 15 Millionen Euro an die Familie Näder und EQT aus.
Tiefer Griff in die Trickkiste
Dabei war Ottobock durch die Pandemie von einem knapp zweistelligen prozentualen Umsatzrückgang getroffen. Die Betreuungsteams im Außendienst und in den Behandlungszentren, die den Patienten bei der Anpassung und Gewöhnung an die Prothesen für gewöhnlich sehr eng begleiten, konnten wegen Kontaktbeschränkungen nur begrenzt arbeiten. Selbst für die neuesten, mit Chips und Mikroprozessoren ausgestatteten Modelle, die sich individuell auf die Bewegungsabläufe jedes einzelnen Kunden einstellen lassen, musste Ottobock während der Lockdown-Monate Preisnachlässe gewähren, um sie in den Markt einzuführen.
Der jährliche Statusbericht des EQT VII Fund, in dem der 20Prozent-Anteil an Ottobock liegt, weist für das Jahr 2020 unter der Rubrik Ebitda und Net Debt den Vermerk “below plan” aus. Im Update für das erste Quartal 2021 liegt das Unternehmen auch in der Kategorie Sales “below plan”. Beide als “strictly confidential” überschriebenen Reports liegen manager magazin vor (siehe Ausriss). EQT legt Wert auf die Feststellung, dass sich die Planabweichung auf den Erwerbszeitpunkt 2017 bezieht.
Schwache Performance: Laut Report von Investor EQT zum ersten Quartal 2021 liegt die Ottobock-Beteiligung in wichtigen Kategorien “unter Plan”
Den Wert ihres Pakets setzen Brennecke und Reichelt nach den Status-Reports gleichwohl bei 670 Millionen Euro an. Macht bei Investitionskosten von insgesamt 437 Millionen eine Wertsteigerung von genau 233 Millionen oder knapp 55 Prozent innerhalb von fünf Jahren.
Die EQT-Zahlen ergeben eine Unternehmensbewertung von insgesamt rund 3,4 Milliarden Euro. Von der Premiere auf dem Parkett der Börse erwarten sich Näder und EQT allerdings noch ganz andere Größenordnungen. Auf gewagte sechs Milliarden Euro wollen sie die Bewertung des Unternehmens bis zum Tag des IPO emporgeschraubt haben, mindestens. Ein Teil der Bewertungslücke soll allein dadurch geschlossen werden, dass die Rechenwerke von Ottobock für den Börsenzulassungsprospekt von den Regeln des deutschen Handelsgesetzbuchs auf internationale Standards (IFRS) umgestellt werden. Zurzeit leisten die Buchhalter Schwerstarbeit. Sie müssen drei Jahre rückwirkend neu bilanzieren, damit der Börsenzulassungsprospekt rechtzeitig fertig wird. Mit den bislang im “Bundesanzeiger” veröffentlichten Zahlen werden die neu berechneten Kennziffern kaum noch etwas zu tun haben. Regelmäßige Abschreibungen auf aktivierte Forschungsund Entwicklungsleistungen oder auf Firmenwerte von Zukäufen sind nach IFRS nicht vorgeschrieben.
Auch die nach internationalen Gepflogenheiten restaurierte Eigenkapitalquote wird Ottobock in deutlich hellerem Licht erscheinen lassen als bislang. Das Handelsgesetz ist etwa bei geleasten Gebäuden, Autoflotten und Produktionsanlagen deutlich restriktiver, was die Zurechnung zu Eigen- und Fremdkapitalpositionen angeht. “Am Ende wird ein börsennotiertes Unternehmen immer höhere Gewinne ausweisen als ein allein regierender Familienunternehmer, der auf möglichst niedrige Steuerzahlungen aus ist”, sagt ein Investmentbanker.
Was dann noch zu den angepeilten IPO-Bewertungen fehlt, soll eine Börsenstory liefern, die höchste Anforderungen an die Fantasie der Anleger stellt. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll sich der Umsatz auf zwei Milliarden Euro verdoppeln. Disruptiver Hightechanbieter mit enormem Wachstumspotenzial – in dieser Tonlage dürften die Investmentbanker die Überschriften für ihre IPO-Studien dichten.
Die Unternehmensbewertung wird sich, wie üblich, am Multiple des Ebitda festmachen. Der Faktor 30, der derzeit für das Ebitda des dänisch-isländischen Prothesenspezialisten Össur aufgerufen wird, soll bestenfalls die Untergrenze darstellen. Ottobock würde sich gern in höheren Kategorien bewegen. Dort, wo etwa der Schweizer Zahnimplantatfabrikant Straumann (76-mal Ebitda) steht oder der dänische Weltmarktführer für Zubehörteile in der minimalinvasiven Chirurgie, Ambu (63-mal Ebitda). Nach den zuletzt verfügbaren Ebitda-Zahlen würde sich Ottobock damit auf einem Niveau von mehr als zehn Milliarden Euro bewegen.
Allmächtiger Patriarch
Trotz des hohen Emissionspreises sind sie bei Ottobock und den Mitstreitern zuversichtlich, dass das Projekt fliegen wird. Offenbar stehen skandinavische Investoren rund um den Wallenberg-Clan bereit. Aber auch amerikanische und asiatische Fonds sollen Interesse an der Ottobock-Story zeigen. Finanzinvestor EQT wird deshalb mit Vergnügen das Gros seiner Anteile abgeben. Näder und seine Töchter Georgia (24) und Julia (31) hingegen wollen lediglich rund 10 Prozent verkaufen, um auch künftig die Mehrheit an der Firma zu haben. Außerdem muss dem Unternehmen über die Ausgabe neuer Aktien Geld zufließen. Ansonsten würden die Anleger das Wachstumsnarrativ nicht schlucken.
Das wichtigste Aushängeschild für die Börsianer ist der ehrgeizige und smarte CEO Schulte-Noelle. Schon bei seiner vorherigen Station als Finanzchef der Fresenius Kabi AG rühmte er sich im Kollegenkreis gern als Stratege und Unternehmer, um vieles besser als sein damaliger Vorgesetzter. Jetzt kann er zeigen, was er draufhat.
Weitere mögliche Vorbehalte, etwa gegen den starken Näder, werden mit Verweis auf den prominent besetzten Aufsichtsrat gekontert werden. An dessen Spitze steht Ex-Bosch-Grande Bernd Bohr (65). Der ehemalige Zeiss-Chef Michael Kaschke (64) fungiert als Stellvertreter.
Vorzeige-Aufpasser
Das wichtigere Gremium der Gesellschaft aber ist der Verwaltungsrat, der die strategische Ausrichtung von Ottobock bestimmt und wie ein Board im angelsächsischen Modell mit exekutiven und nicht exekutiven Mitgliedern besetzt ist. Dort hat der Vorsitzende Hans Georg Näder nach wie vor eine Sonderstellung, wie es sie bislang in keiner börsennotierten deutschen SE & Co. KGaA gibt.
Zwar verfügt er ebenso wie Schulte-Noelle, der ehemalige Beiersdorf-Chef Stefan Heidenreich (58) und alle weiteren Mitstreiter nur über eine Stimme. Dafür entscheidet Näder ganz allein über die Zusammensetzung des Gremiums.
Damit beherrscht er es faktisch, genauso wie das Unternehmen. Und das Geld der Anleger obendrein. Manager Magazin (04. Januar 2022)