Handelsblatt Online: Familienunternehmer

2019-06-03
Lesezeit: 8 min

Handelsblatt Online, 3 Juni 2019. Fröhlich, Diana; Schlautmann, Christoph

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Schuldenberg und Anteilsverkäufe; Die Lage des Prothesenherstellers Ottobock ist prekär Der Prothesen-König Hans Georg Näder ließ zuletzt Positives über seinen Konzern verbreiten. Doch die Wirklichkeit sieht wenig glanzvoll aus.

Die ‘Bild’-Zeitung schrieb unlängst vom ‘Steve Jobs der Hightech-Prothesen’, Kanzlerin Angela Merkel lobte ihn am Firmensitz im niedersächsischen Duderstadt als ’ein Paradebeispiel für den deutschen Mittelstand’, Fußballbundestrainer Joachim Löw schätzt ihn wegen seiner ‘hohen sozialen Kompetenz’: Hans Georg Näder, in dritter Generation Inhaber des Medizintechnikherstellers Ottobock, extrovertiert und selbstbewusst, sonnt sich mit Vorliebe im Glanz der Öffentlichkeit.

So mangelte es auch zum 100. Firmenjubiläum im Februar nicht an Prominenz. Ex-Bundespräsident Christian Wulff fand sich als Gratulant ebenso ein wie Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell. Sie alle bewundern Näder für das, was er erreicht hat. Aus einer kleinen Firma hat er ein weltumspannendes Unternehmen mit rund 7000 Mitarbeitern geschaffen.

Für den nötigen Ruhm sorgt der 57-Jährige mitunter auch schon einmal selbst. Am Donnerstag vergangener Woche ließ er per Presseaussendung mitteilen: ‘Das international tätige Medizintechnikunternehmen Ottobock schuf 2018 erheblichen Mehrwert für Anwender, Mitarbeiter und Eigentümer.’ Dank ‘deutlicher Fortschritte in der Effizienz’ sei der bereinigte operative Gewinn vor Sondereffekten auf einen Rekordwert gestiegen.

Untersagter Zukauf

Was die Jubelmeldungen verbergen: Die Wirklichkeit im Konzern sieht, anders als es Näders glanzvolle Auftritte vermuten lassen, trübe aus. Und das nicht nur, weil die US-Wettbewerbsbehörde FTC kürzlich den Zukauf des amerikanischen Wettbewerbers Freedom Innovations rückwirkend untersagte, was Ottobock nun 78 Millionen Euro Rückstellungen kostet.

Der nach dem Ersten Weltkrieg angesichts von Millionen Kriegsversehrten gegründete Prothesen-Hersteller sicherte sein Überleben zuletzt überwiegend durch den Verkauf von Firmenanteilen, das zeigt der neulich veröffentlichte Konzern-Geschäftsbericht für 2017. Dass es wie geplant ab 2020 zu einem Börsengang kommt, der 2017 schon einmal abgesagt wurde, erscheint aus heutiger Sicht illusorisch.

Die Konzernzahlen für 2017 - neuere liegen bislang nicht öffentlich vor - zeugen von einem prekären Zustand, den allein der Verkauf von Unternehmensteilen mühsam übertünchte. So trennte sich der Konzern von einem Teil seines Kunststoffgeschäfts, und auch ein Fünftel der im Konzern dominierenden Healthcare-Sparte machte Näder zu Geld. Käufer für Letzteres war eine Tochterfirma des schwedischen Finanzinvestors EQT.

Laut Geschäftsbericht spülte der Anteilsverkauf weit über eine halbe Milliarde Euro an Cash in die Firmenkasse. Zudem brachten die Verkäufe netto 339 Millionen Euro an Buchgewinn, der nach eigenen Angaben ‘überwiegend steuerfrei’ blieb. Bedenklich: Ohne dies wäre das Jahresnettoergebnis ins Minus gerutscht. Als Konzernüberschuss wies Ottobock Ende 2017 gerade einmal 268 Millionen Euro aus - eine Summe, die 71 Millionen Euro unter dem Sonderertrag aus den Veräußerungen lag.

Zum Teilverkauf an EQT habe er sich entschlossen, bekundete Näder im Februar 2019 gegenüber der ‘Börsen-Zeitung’, um seinem Unternehmen ein ‘Fitnessprogramm’ für den potenziellen Börsengang zu verordnen. In Wahrheit jedoch deutet alles auf einen Notverkauf. Dafür spricht nicht nur, dass sich Ottobock 2017 veranlasst sah, Forderungen in Höhe von 28 Millionen Euro an eine Factoring-Gesellschaft zu verkaufen, womit sich Unternehmen in der Regel Liquidität sichern. Auch eine Umschuldung, wie sie der Konzern im August 2017 vornahm, wäre ohne die Beteiligungsverkäufe vermutlich kaum zustande gekommen.

Dazu nämlich war der Schuldenberg zunächst zweifellos zu hoch. Einem operativen Ertrag (Ebitda) von bereinigt 91 Millionen Euro hätten zum Geschäftsjahresende 2017 Nettofinanzschulden von 946 Millionen Euro gegenübergestanden, falls es nicht zu den Deals gekommen wäre. So aber drückte der EQT-Einstieg die überbordende Nettoverschuldung auf 395 Millionen Euro, was den Weg frei machte für einen neuen syndizierten Kreditvertrag über 510 Millionen Euro. Gleichzeitig konnte sich die Firma 200 Millionen Euro über einen Schuldschein besorgen, der weniger Publikationspflichten zu erfüllen hat als etwa eine Anleihe - dafür aber in der Regel höhere Zinszahlungen erfordert. Zwar minderte dies die Nettofinanzverschuldung Ende 2017 auf das 4,4-Fache des Betriebsgewinns. In anderen Unternehmen aber hätte selbst das noch gereicht, die Führung in Alarmstimmung zu versetzen. Ähnlich verschuldete Unternehmen, etwa die Hamburger Containerreederei Hapag-Lloyd, bewertet Standard & Poor’s derzeit mit der Bonitätsnote ‘B+’, vier Zähler entfernt von einem soliden Investment. In den darauffolgenden zwölf Monaten stieg die Verschuldung im Otto-Bock-Konzern erneut wieder an. Auf 442 Millionen Euro, wie es dort auf Anfrage heißt. Das Betriebsergebnis habe sich ebenfalls erhöht, rechtfertigt ein Konzernsprecher. Die Konzernverschuldung habe sich somit bis Ende 2018 auf das 2,6-fache Ebitda verringert. Ob es damit für den ‘Investment-Grade-Rahmen’ reichen würde, den Näder neulich zum Ziel erklärte, ist mehr als fraglich.

Probleme mit Rollstühlen

Der Medizintechnikhersteller, der sich selbst als Weltmarktführer für Prothesen bezeichnet, kämpft schon seit Längerem mit den Erträgen. Insbesondere die Rollstuhlsparte war jahrelang das Sorgenkind in Duderstadt. Unternehmenskenner sprechen regelrecht von einer Geldvernichtungsmaschine. Von zu viel Individualität bei den Modellen - die schlicht zu teuer in der Herstellung sind. Die Sparte soll im Geschäftsjahr 2017 Verluste in zweistelliger Millionenhöhe hinterlassen haben.

Um den Geldabfluss aus dem Rollstuhl-Geschäft zu stoppen, wurde Mitarbeitern betriebsbedingt gekündigt, Standorte in den USA und in Schweden mussten geschlossen werden. 2018, teilte der Konzern auf Anfrage mit, sei der um Sonderfaktoren bereinigte Ertrag vor Zinsen, Abschreibungen und Steuern (Ebitda) entsprechend von 90,6 auf 168 Millionen Euro gestiegen.

Doch unterm Strich dürfte selbst dies für kaum mehr als eine schwarze Null gereicht haben. Zur Einordnung: Im Vorjahr belasteten Abschreibungen, Steuern und Zinsen das Ergebnis mit 166 Millionen Euro, 2016 waren es 157 Millionen. Hoffnungen setzte Ottobock nun auf eine VW-Kooperation. Um den Automobilarbeitern die Arbeit über Kopf zu erleichtern, liefert Näder den Wolfsburgern sogenannte Exoskelette. Erfunden wurden die außen am Körper befestigten Halterungen einst, um Querschnittsgelähmten wieder das Laufen zu ermöglichen. Die Idee sei gut, finden Experten, nur seien Start-ups vor allem im Silicon Valley schlicht viel weiter.

Apple und Google arbeiten schon an Cyborgs, einer Kombination aus körperlichem Organismus und mechanischen Hilfen. Die US-Konkurrenz verfüge eben über mehr Kapital.

Verantwortung bei Näder

Es ist Näder, einst mit nur 28 Jahren auf den Chefsessel in Duderstadt berufen, auf dessen Schultern die Verantwortung für die Zahlen liegt - auch wenn er Anfang 2018 den Posten des Vorstandsvorsitzenden mit dem des Verwaltungsratschefs tauschte. Nach dem Abtritt von der operativen Spitze hatte es der Patriarch zunächst mit dem Biochemiker Oliver Scheel versucht, der von der Unternehmensberatung AT Kearney kam und als erster familienfremder Manager die Firma leiten sollte.

Doch was großspurig von Näder als ‘Generation Change 4.0’ angekündigt wurde, fand schon nach nicht einmal einem Jahr ein Ende. Die Chemie zwischen beiden habe nicht gestimmt, hieß es zur Erklärung bei Ottobock und das, obwohl sich beide bereits länger kannten.

Am Ende war es wohl eher das Tempo und die Dynamik Scheels, mit der Näder nicht zurechtkam. Mittlerweile führt Philipp Schulte-Noelle, der Sohn des langjährigen Allianz-Vorstandschefs Henning Schulte-Noelle, den Konzern in Duderstadt. Um die Schwächen des Unternehmens zu verschleiern, so jedenfalls hat es den Anschein, setzt Näder auf Verwirrung.

‘Die Ottobock Holding hat eine Milliarde Euro Eigenkapital und ist schuldenfrei’, verkündete er neulich in der ‘Börsen-Zeitung’. Was der Inhaber und Verwaltungsratschef verschwieg: Nach einer ganzen Arie von Umfirmierungen, Umbenennungen und Umschuldungen liegt die Finanzierung seit August 2017 bei der Untergesellschaft ‘Ottobock Healthcare’. Sie haftet seither für Konsortialkredite und Schuldscheine in Höhe von bis zu 710 Millionen Euro.

Mit dem Ergebnis, das kaum noch jemand durchschaut, firmierte Näder diese zum Teil an EQT verkaufte Konzerntochter 2018 um. Sie nennt sich nun ‘Ottobock SE & Co. KGaA’, was den Anschein erweckt, als vertrete sie den Gesamtkonzern. Es war Näder selbst, der den Eindruck in den vergangenen Wochen verstärkte, indem er per Pressemitteilung über deren Hauptversammlung und Jahresabschluss berichtete. ‘Das wäre so’, lästert ein Beobachter, ‘als würde der VW-Konzern allein über die Marke Volkswagen berichten.’ Bemerkenswert bleibt angesichts von hoher Verschuldung und schwachen Erträgen, dass sich die Gesellschafter, zu denen neben Hans Georg Näder auch die Töchter Julia, 29, und Georgia, 22, zählen, üppige Entnahmen gönnten. Allein 2017 beliefen sie sich auf 86,1 Millionen Euro. ‘Es hat sich gezeigt, dass wir für die Zielverwirklichung Eigenmittel in der Größenordnung der Ausschüttung nicht benötigen würden’, begründet dies ein Konzernsprecher auf Anfrage.

Das war offenbar auch schon in den sechs vorangegangenen Jahren so. Zwischen 2011 und 2016 summierten sich die Entnahmen auf weitere 335 Millionen Euro. Geschuldet sein könnte dies dem üppigen Lebensstil des Patriarchen. Näder ist nicht nur Medizintechnik-Unternehmer, er ist auch Verleger, Kunstsammler, Hotelier. Ihm gehören ein Museum, eine Galerie und eine Brauerei. ‘HGN’, wie ihn Mitarbeitern nennen, besitzt eine 54 Meter lange Jacht, die ‘Pink Gin’, zudem einen Privatjet und einen Helikopter, mehr als das halbe Jahr reist er damit rund um den Globus. Aus seinem Reichtum macht er kein Geheimnis. Geht es um eigene Ziele, ist Näder kaum zu stoppen. Er tritt aus der CDU aus und in die FDP ein, baut Wohnräume für traumatisierte Kinder, lädt muslimische Flüchtlinge zum Firmenjubiläum ein. Auf dem Areal einer denkmalgeschützten Industrieruine in Berlin lässt er gerade für 40 Millionen Euro ein ‘Zukunftslabor für Medizintechnik’ entstehen.

Mit seinen Erfindungen professionalisierte Näder den Behindertensport, was ihn zusätzlich ins Rampenlicht beförderte. So darf er während einer Medaillenzeremonie bei den Paralympics auch schon mal den Siegern gratulieren, ihnen Gold, Silber und Bronze umhängen. Und sogar die olympische Fackel tragen. Große Auftritte wie diese liebt der Milliardär, der nach Angaben des US-Magazins ‘Forbes’ zu den 1.000 reichsten Menschen der Welt gehört. Zum Ende des Jubiläumsjahrs will er im September den befreundeten Sänger Peter Maffay auf die Bühne des Duderstädter Stadtzentrums holen. In seinem alten Hit trällert der Schlagerstar dann womöglich, wozu Näder derart hohe Summen aus dem verschuldeten Konzerngeflecht zog: ‘Du gibst alles, wenn du gibst.’

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