Ottobocks gescheiterte Akquisition von Freedom Innovations: Hans Georg Näder fragwürdige Entscheidung kommt Ottobock teuer zu stehen

2022-06-23
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Hessische / Niedersächsische Allgemeine (27. September 2017)

Ottobock SE & Co. KGaA (Ottobock) Eigentümer Hans Georg Näder wurde im Laufe der Anhörungen im Zusammenhang mit der illegalen Übernahme eines US-Wettbewerbers im Jahr 2017 als “Tyrann” bezeichnet. Die US-Regulierungsbehörden sahen sich gezwungen, Ottobock anzuweisen, alle erworbenen Vermögenswerte zu veräußern. Das kostete das Unternehmen 78,1 Millionen Euro. Die Behörden schlugen Alarm wegen der Produktqualität des Prothesenherstellers.

Der ehemalige CEO von Freedom Innovations, David Smith, kritisierte Näder und sein temperamentvolles Verhalten während seiner Aussagen vor Gericht über die erfolglose Übernahme von Freedom durch Ottobock, welche das Ziel verfolgte, den technologisch überlegenen Konkurrenten von Ottobock zu schwächen.

Die Aufzeichnungen bestätigen ein in der Branche und bei den Aufsichtsbehörden weithin bekanntes Geheimnis: Ottobocks Produktqualität ist minderwertig und das Unternehmen hält sich nicht an grundlegende Geschäftsstandards. Ottobock hat sich nie um eine behördliche Genehmigung für den Kauf von Freedom bemüht. Die US Federal Trade Commission (FTC) erfuhr erst nach Abschluss der Fusion davon und untersagte diese rückwirkend. Das Unternehmen kann seinen Marktanteil nur dank einer monopolistischen Expansionsstrategie aufrechterhalten, welche gegen kartellrechtliche Vorschriften verstößt. Die leidtragenden sind die Kunden des Prothesenherstellers. Diese Enthüllungen, die aus den Gerichtsakten des Ottobocks Rechtsstreits mit der FTC hervor gehen, sind ein Warnsignal für potenzielle Ottobock-Investoren im Hinblick auf den für 2022 geplanten Börsengang des Unternehmens an der Frankfurter Börse und geben Anlass zu Besorgnis über Näders Unnachgiebigkeit, seinen Mangel an Weitsicht und seinen eisernen Griff auf das Tagesgeschäft von Ottobock, der zu seinem missbräuchlichen Vorgehen auf dem weltweiten Prothesenmarkt geführt hat.

Ottobock verstößt mit einem schlecht durchdachten Übernahmeplan gegen das US-Wettbewerbsrecht

Am 22. September 2017 erwarb Ottobock den drittgrößten US-amerikanischen Prothesenhersteller Freedom und damit einen der engsten amerikanischen Wettbewerber des deutschen Gesundheitskonzerns, für rund 72 Millionen US-Dollar. Im Dezember desselben Jahres reichte die FTC eine Verwaltungsbeschwerde ein, um die Übernahme aus kartellrechtlichen Gründen zu blockieren. Die FTC erachtete den Zusammenschluss als wettbewerbswidrig, da er dazu geführt hätte, dass der Marktanteil von Ottobock in den USA auf 80 % gestiegen wäre. Ein Anstieg, den die Behörden als “vermutlich rechtswidrig” ansahen, da der enge Wettbewerb zwischen Ottobock und den Prothesenprodukten von Freedom beseitigt worden wäre.

Den Gerichtsakten zufolge begann die FTC ihre Untersuchung erst “nach Abschluss der Übernahme”, da Ottobock es versäumt hatte, bei der FTC eine Vorabgenehmigung für die Übernahme von Freedom zu beantragen, was gegen die US-Kartellvorschriften verstößt und im Widerspruch zu einer Pressemitteilung von Ottobock vom September 2017 steht, in der es heißt, dass “alle kartellrechtlichen Fragen bereits geklärt sind”. Nach einem langwierigen Einspruchsverfahren, das Ottobock im Mai 2019 eingeleitet hatte, entschied die FTC im November desselben Jahres, dass die Übernahme von Freedom durch Ottobock gegen das Kartellrecht verstößt, und ordnete die Rückabwicklung der Übernahme an. Ottobock schloss schließlich im Dezember 2020 den Verkauf eines erheblichen Teils der Vermögenswerte von Freedom an den französischen Prothesenhersteller Proteor SA ab.

Aus den Gerichtsakten geht auch hervor, dass FTC-Mitarbeiter Ottobocks Rechtsverteidigung als “Spülbecken”-Ansatz bezeichneten. Hierbei handele es sich um einen Scherz, der Ottobocks Inkohärenz und faktische Analyse unterstrich, und sich sarkastisch bei Ottobock dafür bedankt, dass es der FTC den Sieg in diesem Fall überlassen hatte. Letztendlich gelang es dem deutschen Prothesenhersteller nicht, die FTC davon zu überzeugen, dass die Fusion den Wettbewerb auf dem US-Markt nicht wesentlich beeinträchtigt. Während dieses Zeitraums war ein direkter Kontakt zwischen Freedom und Ottobock rechtlich untersagt. Ottobock war nicht in der Lage, die Vermögenswerte von Freedom zu konsolidieren, was bedeutet, dass der deutsche Hersteller die Kosten für die Verwaltung von Freedom übernahm, während er von allen damit verbundenen traditionellen Vorteilen ausgeschlossen war. Der Schaden für das Unternehmen könnte sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag belaufen.

Minderwertige Produktqualität ein Faktor beim gescheiterten Versuch von Ottobock, Freedom zu übernehmen

Nach Ansicht der FTC war die Übernahme von Freedom durch Ottobock ein Versuch, den Wettbewerb zwischen dem C-Leg von Ottobock und den Plié-Mikroprozessorknien (MPKs) von Freedom, den jeweiligen Vorzeigeprodukten der beiden Unternehmen, auszuschalten. Dieser Kampf kam den Kunden zugute, indem er den Preis- und Innovationswettbewerb förderte, bei dem die Unternehmen um dieselbe Zielgruppe und denselben Kundenkreis konkurrierten.

Die Einführung der neuen Generation des Plié-3-Beins von Freedom im Jahr 2014, dessen Durchschnittspreis unter dem des C-Legs lag, wurde von Ottobock als “direkte und ernsthafte Wettbewerbsbedrohung” empfunden, welche zu einem Umsatzrückgang für den deutschen Hersteller führte. Das C-Leg 4 von Ottobock, welches 2015 als Antwort auf das Plié 3 von Freedom auf den Markt gebracht wurde, war „technologisch minderwertig und wies zahlreiche Mängel auf“, so der Freedom-Vorsitzende Maynard Carkhuff in einem FTC-Interview.

Die minderwertige Produktqualität von Ottobock, über die unter den Konkurrenten in der Branche viel berichtet wurde, könnte der Hauptgrund für den Wunsch des Unternehmens gewesen sein, Freedom zu kaufen. Das Vorgehen von Ottobock stellte somit einen Versuch dar, “ein Außenseiterunternehmen, das mit niedrigen Preisen gegen Ottobock konkurriert hatte, vom Markt zu verdrängen” und die beherrschende Stellung von Ottobock auf dem US-Markt zu gefährden, so die FTC.

Die Krise des “Tyrannen” Näder beginnt

Das Eingreifen der FTC in die Ottobock-Freedom-Übernahme wirft ein schlechtes Licht auf das deutsche Unternehmen und seinen Mehrheitsaktionär Näder. Der extravagante Geschäftsmann, der beabsichtigt, die strategische Ausrichtung von Ottobock eisern im Griff zu behalten, indem er auch nach dem Börsengang eine Mehrheitsbeteiligung an der Gruppe behält, wurde von einem ehemaligen engen Berater als “nicht einfach im Umgang und besonders beratungsresistent” beschrieben. “Mit jemandem wie ihm kann man nicht umgehen.”

Der ehemalige CEO von Freedom Innovations, David Smith, der bestätigte, dass Ottobock nach der Übernahme von Freedom beabsichtigte, das Unternehmen zu schließen, nahm bei seiner persönlichen Aussage vor der FTC ebenfalls kein Blatt vor den Mund, als er Näder beschrieb:

“Ich glaube nicht, dass ich ein guter Mensch bin, um für einen Tyrannen zu arbeiten”, sagte Smith in Bezug auf Näder. “Oder für jemanden, der dieser Persönlichkeitstyp ist. Ich sage nicht: “Ja, Sir.” Ich sage: “Warum?” Es hat also nicht gut gepasst.”

“Sie hatten eine sehr starke autoritäre Persönlichkeit”, fügte er hinzu.

Ottobock-Freedom-Saga schadet den IPO-Bestrebungen des deutschen Unternehmens

Der Schaden, der Ottobock durch die gescheiterte Übernahme von Freedom Innovations entstanden ist, könnte sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag belaufen. Das Unternehmen hat bereits die gesamten 72 Mio. USD abgeschrieben, die es im September 2017 für Freedom gezahlt hat. In deutschen Medienberichten, die von Näders Anwälten schnell entfernt wurden, wurde darauf hingewiesen, dass die Finanzberichterstattung von Ottobock für 2017 einen Verlust von 168 Mio. EUR für das Jahr verschleiert hat.

Die blockierte Übernahme von Freedom ist nur ein Symptom für die stagnierende wirtschaftliche Leistung von Ottobock und Näders totalitäres Vorgehen bei der Unternehmensführung. Besorgniserregend für die Anleger ist, dass diese festgefahrene Hierarchie kaum Anreize für Reformen bieten wird, da die Familie Näder verschiedenen deutschen Nachrichtenberichten zufolge beabsichtigt, nach dem Börsengang rund 70 % von Ottobock zu behalten.

Näders wiederholte Kapitalabzüge aus Ottobock - Nader hat in den letzten zehn Jahren “rund eine halbe Milliarde Euro” aus der Gruppe entnommen, um seinen verschwenderischen persönlichen Lebensstil und andere spontane, schlecht durchdachte Unternehmungen zu finanzieren. Das habe auch nicht dazu beigetragen, die Bedenken der Investoren zu minimieren, da “wenn der Anteil des Eigenkapitals immer kleiner wird, das Unternehmen schließlich auf sehr wackeligen Beinen stehen wird”. Trotzdem sagte Ottobock CEO Phillippe Schulte-Noelle, der nominelle Chef der Gruppe, in einem Interview im Dezember 2021, dass er mit Näder “in fast allen Fällen” übereinstimme, was die operative Kontrolle des Mehrheitsaktionärs und die Rolle von Schulte-Noelle als Näders Marionette bekräftigt. Zweifelsohne wird die Familie Näder einen dominanten Einfluss auf die Investitionsstrategie und die strategische Entwicklung des Gesundheitskonzerns behalten. Ihre katastrophale Entscheidungsfindung, während der Ottobock-Freedom-Saga ist jedoch ein schlechtes Zeichen für den “Tyrannen” Näder und die Aussichten auf einen Börsengang von Ottobock. Handelsblatt (09. April 2019)