Hans Georg Näders Luxusleben und das gefährdete Firmenwohl

2024-07-29
Lesezeit: 5 min

(c) WirtschaftsWoche, von Melanie Bergermann, Volker ter Haseborg und Dennis Pesch

Hans Georg Näder liebt den Luxus – und riskiert die Gesundheit seiner Firma Ottobock. Die Liste der Probleme des Prothesen-Milliardärs ist lang.

Teilen per: Irgendwo muss er sein. Aber wo? Nicht zu fassen, dieser Mann. An einem Mittwoch Mitte Mai trifft sich auf der Leipziger Messe die Weltgemeinde der Orthopädietechniker. Doch ausgerechnet Hans Georg Näder, der Nestor der Branche, der Weltmarktführer, macht sich rar. Seine Leute sagen, er habe viele Termine, ein Interview mit ihm sei ausgeschlossen. Man wisse nicht mal, ob er es überhaupt an den Stand seiner Firma Ottobock schaffen wird.

Plötzlich ist er da. Er trägt einen „Seht-her!“-Schal, wie so oft, blaugrünes Mandalamuster, dazu ein lilafarbenes Poloshirt – und versteckt seine Augen hinter einer Sonnenbrille. Näder wechselt ein paar Worte mit seinen Mitarbeitern und sagt der WirtschaftsWoche, keine Zeit für ein Gespräch zu haben, „busy“ zu sein. Dann ist er weg.

„Busy“ – ist fast schon eine Untertreibung. Der 62-Jährige steht unter Druck wie nie. Hans Georg Näder hat den Orthopädie-Mittelständler Ottobock aus Duderstadt zu einem Weltmarktführer geformt. Er mobilisiert behinderte Menschen mit kreativen Produkten, ist Sigmund Freuds „Prothesengott“ in Person. Das ist der strahlende Teil seiner Geschichte. Der andere Teil strahlt ganz und gar nicht.

Ein Bürogebäude in der Göttinger Innenstadt. Drei Männer kommen nacheinander von der Dachterrasse herunter, ein letzter Blick in die Sonne, bevor es in das Dunkel eines Konferenzraums geht: Hier wollen sie ihre Geschichte mit Hans Georg Näder erzählen. Das Trio hat mal für Näder gearbeitet. Heute konkurriert es mit ihm. Aus Sicht von Näder sind die drei Männer offenbar nicht nur Wettbewerber, sondern Gegner, Feinde. Näder hat sie verklagt. Dazu später mehr.

Der Fall der Abtrünnigen aus Göttingen legt nahe, was passieren kann, wenn Näder seine Ehre befleckt sieht. Weggefährten kritisieren, er sei misstrauisch, sprunghaft, beratungsresistent.

Aber es ist nicht nur das. Näder führt einen exzentrischen Lebensstil und setzt damit sein Unternehmen aufs Spiel.

Duderstadt im Südosten Niedersachsens, nach Göttingen sind es 30 Kilometer: eine Kleinstadt, der Patron hinterlässt hier gern Spuren seines Erfolgs. Er hat Fachwerkhäuser saniert, der Stadt ein Schützenhaus geschenkt, unterstützt bedürftige Kinder. Auf seinem Anwesen steht ein Kunstmuseum, der Eintritt ist frei.

In Duderstadt ist Näder aufgewachsen, als einziges Kind des Unternehmerehepaares Max und Maria Näder. Max hat die Firma aufgebaut, er war der Schwiegersohn des Gründers Otto Bock. Hans Georg schrieb sich nach dem Abitur für BWL ein, probierte sich als Kneipier; das Café Wunderbar in Göttingen musste er schließen. Der Vater drehte ihm den Geldhahn ab. Max Näder holte den Sohn in die Firma. 1990 dann die Übergabe. Hans Georg war 28. Das Studium brach er ab.

„Er kam rein mit einem unglaublichen Schwung“, sagt jemand, der damals mit ihm zusammengearbeitet hat. Er sei beseelt gewesen von der Idee, innovative Produkte herzustellen. Das weltweit erste vollständig mechatronische Kniegelenk zum Beispiel: Alle schüttelten den Kopf. Näder glaubte daran. Heute zählt das per Computerchip gesteuerte C-Leg zu den wichtigsten Umsatzgrößen von Ottobock. Die Unternehmensberatung EY kürte Näder 2003 zum Entrepreneur des Jahres. Das sei der Höhepunkt gewesen, sagen Gefolgsleute. Danach habe sich Näder immer seltener in der Firma blicken lassen. Wenn er da war, erlebten ihn seine Untergebenen oft sprunghaft. „An manchen Tagen war er supergut drauf, euphorisch“, heißt es: „dann kippte die Stimmung.“

„Flimmernde Punktwolke“

Näders Vater starb 2009, auch für den Firmenchef ein schwerer Verlust. Zweimal war er zu einer Auszeit gezwungen: Burn-out. Aber nach innen und außen habe er immer als der starke Mann wahrgenommen werden wollen, sagen Ehemalige. Entscheidungen anderer während seiner Abwesenheit habe er im Nachhinein revidiert – obwohl sie richtig gewesen seien. Näder hat zu seinem 60. Geburtstag ein Buch herausgegeben. Wichtige Wegbegleiter kommen darin zu Wort, um eine „flimmernde Punktwolke“ entstehen zu lassen, so heißt es im Vorwort, „in der sich die komplexe Persönlichkeit von Hans Georg Näder abzeichnet“. Nun ja. Sein langjähriger Geschäftsführer Harry Wertz gibt über Näder zu Protokoll: „Eine seiner weniger guten Charaktereigenschaften ist, dass er oft nicht zuhören möchte und manchmal beratungsresistent ist.“ Näder diskutiere seine Pläne nicht, „er macht es einfach“.

Bestes Beispiel dafür ist in den Augen vieler die missglückte Übernahme der Firma Freedom Innovations in den USA vor sieben Jahren. Die Behörden intervenierten nach dem Kauf; Ottobock musste Teile wieder veräußern. Mehr als 70 Millionen Euro wurden investiert, der Großteil davon ist verloren. Ehemalige Führungskräfte sagen, sie hätten Näder geraten, vor dem Kauf auf ein „Go“ der Kartellbehörden zu warten. Näder aber sei nach vorne geprescht. Seine Sprecherin erklärt: „Das ist in mehrfacher Hinsicht nicht richtig.“

Im Zuge einer Veränderung der Gesellschaftsform wurde Näder 2017 vom Ottobock-Geschäftsführer zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats. Seither hat er das Management gemanagt. Die Leitung des Finanzressorts im Vorstand wurde seitdem gleich fünf Mal ausgewechselt. „Er wollte keine Kosten sparen“, beschwert sich ein ehemaliger Top-Manager. Ein anderer sagt, man müsse immer darauf gefasst sein, dass der viel reisende Näder plötzlich in der Firma auftauche, um mal wieder eine neue Idee unterzubringen. Die Pressesprecherin erklärt: „Herr Näder kann sich für Themen und Ideen begeistern. Seine Art, das Unternehmen zu führen, erfordert nicht, dass er ständig am Standort präsent ist, sondern besticht dadurch, dass er sich auf der ganzen Welt inspirieren lässt und netzwerkt.“ Er sei „Visionär und Unternehmer und greift ins Unternehmen ein, wenn er die eingeschlagene Richtung oder Entscheidungen als ,falsch‘ erachtet“.

Die Richtungswechsel haben Folgen. Nur 42 Prozent der Ottobock-Beschäftigten vertrauen der Geschäftsführung, ergab eine Umfrage im vergangenen Jahr. Das Unternehmen stellt mit Oliver Jakobi bereits den dritten Chef nach Näder. Jakobi gilt als jemand, der ausführt, was der Eigentümer befiehlt. So mag es Näder wohl. Ein Insider charakterisiert ihn so: „Er vertraut keinem. Wer nicht macht, was er will, wird als Gegner betrachtet.“ Näders Sprecherin beschreibt ihren Chef als das „Gegenteil von misstrauisch“.