Von Jan Dams, Welt am Sonntag, 05.10.2025. Original article here.
Hans Georg Näder liebt große Boote, genauer gesagt: große Segelboote. Glaubt man der Zeitschrift “Yacht”, dann hatte der Aufsichtsratschef der Ottobock SE & Co. KGaA schon so einige davon. Im Jahr 2017 ließ er zum Beispiel bei der ebenfalls zum Näder-Imperium gehörenden Werft Baltic Yachts die “Pink Gin VI” im finnischen Pietarsaari zu Wasser. Ein Wahnsinnsschiff: 54 Meter lang, Rumpf aus Carbon, schnell. Moderner geht’s kaum. Im Juni 2023 soll er sie wieder verkauft haben.
Näders leidenschaftliche Liebe zu Segelbooten ist jedoch Anlass für Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Es geht um den Verdacht der “schweren Hinterziehung deutscher Umsatzsteuer”. Die Untersuchungen beträfen den Erwerb von zwei Schiffen durch Näder, beziehungsweise ein von ihm kontrolliertes Unternehmen, und ständen in keinem Zusammenhang mit Ottobock. So steht es auf Seite 225 des 644 Seiten langen Prospekts für den Börsengang der Ottobock SE.
Näder will die Firma am Donnerstag an die Börse bringen. Schlechte Nachrichten passen da nicht ins Bild. Denn Näder ist Eigentümer und Aufsichtsratschef und damit der Kopf hinter Ottobock. Sollte er am Ende der Ermittlungen verurteilt werden, stellt sich die Frage, ob er Oberkontrolleur bleiben kann. Da hilft es kaum, dass Näder beteuert, er sei “dahingehend beraten (worden), dass er im Einklang mit den geltenden deutschen Umsatzsteuervorschriften gehandelt habe, und beabsichtigt, sich weiterhin entschieden gegen die Vorwürfe zu verteidigen”, heißt es im Prospekt. Ottobock schreibt auf Nachfrage lediglich:,,Hierbei handelt es sich um die Privatangelegenheit von Herrn Näder, die nichts mit dem Unternehmen zu tun hat."
GESCHÄFTE IN RUSSLAND
Überraschend kommen die Vorwürfe allerdings nicht. 2017 berichtete WELT AM SONNTAG bereits, dass Näder die Steueroase Malta genutzt haben soll, um dort unter der mit der Registrierungsnummer C49990 angemeldeten Pink Gin Ltd. seine Yacht “Pink Gin VI” zu betreiben - mit der Folge, dass er weniger Mehrwertsteuer zahlte. Ein Firmensprecher sagte damals: Diese Konstruktion sei legal, transparent und den deutschen Steuerbehörden bekannt.
“Was spricht dagegen, über ein in Malta angemeldetes Schiff Steuer einzusparen, um es an anderer, sinnvoller Stelle einzusetzen?” Eine Ottobock-Sprecherin wollte sich aktuell nicht dazu äußern, ob es bei den aktuellen Ermittlungen auch um die “Pink Gin VI” geht.
Ein!PO-Prospekt erzählt oft mehr über die Fallstricke eines Geschäftsbetriebs als andere Unterlagen. Denn neben Steuerermittlungen gibt es weitere Risiken: Die Ottobock SE, bekannt für ihre Hightech-Prothesen, ist in Russland weiterhin aktiv, trotz Sanktionen. Die Künstliche Intelligenz ChatGPT zählt das Wort Russland 186 Mal im!PO-Prospekt. Die Bedeutung des russischen Markts hat sogar zugenommen. 2022, im Jahr des Überfalls auf die Ukraine, machte die Ottobock SE 5,6 Prozent ihrer Erlöse in Wladimir Putins Reich. Ein Jahr später sank der Anteil auf fünf Prozent. Im Jahr 2024 dann eine Wendung: 6,8 Prozent der Erlöse kamen aus Russland, im ersten Halbjahr 2025 waren es gar 8,8 Prozent. In einer Zeit also, in der andere deutsche Firmen ihre Aktivitäten reduzierten, wuchsen sie bei Ottobock - und zwar stärker als der Konzern. Zwischen 2022 und 2024 stieg der Umsatz von 74,7 auf gut 109 Millionen Euro. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es schon über 70 Millionen Euro. Ottobock begründet das auf Nachfrage unter anderem mit Wechselkurseffekten und Divestments.
VERSTOSS GEGEN SANKTIONEN
Bei Ottobock weiß man, dass der Erfolg in Russland mit Risiken einhergeht, auch für den guten Ruf.,,Gesetze, Vorschriften oder Genehmigungspolitiken zu Wirtschaftssanktionen oder Exportkontrollen könnten sich ändern, und zusätzliche Länder könnten Wirtschaftssanktionen, Exportkontrollen oder ähnliche Regelungen einführen, die sich nachteilig auf unser Geschäft, unsere Exporte oder Verkäufe in diesen oder anderen Ländern auswirken oder zu Beschränkungen, Strafen oder Bußgeldern führen könnten", heißt es. Ein Verstoß gegen geltende oder künftige Gesetze könnte zu zivil- oder strafrechtlicher Haftung sowie zu negativer Publizität oder Reputationsschäden führen.
Die Firma begründet ihr Engagement mit humanitären Ausnahmeregelungen und der Sicherung medizinischer Versorgung. Ottobock liefere keine Produkte an Kliniken und Werkstätten,,,die mit dem Militär, paramilitärischen Organisationen, der Polizei oder den Nachrichtendiensten verbunden sind". Man beschränke sich auf Ausschreibungen für die Bereitstellung von Medizinprodukten für die Zivilbevölkerung. In eigenen Einrichtungen “versorgen wir mit eigenem Fachpersonal zivile Nutzer von Prothesen”.
Lässt sich das garantieren? Wohl nicht. Ottobock schließt nicht aus, dass die Produkte versehrten Soldaten zugutekommen. Außerdem gesteht die Firma einen Sanktionsverstoß ein: Zwischen November 2023 und Mai 2024 kam es zu drei Lieferungen eines Rollstuhl-Nivellierungsgeräts ohne Genehmigung der Ausfuhrbehörde (Bafa) infolge einer Änderung der EU-Verordnung. Ottobock hat den Fehler selbst angezeigt. Kein großes Problem also, wenn man davon ausgeht, dass die Firma die Ausfuhrgenehmigung ohnehin erhalten hätte?
Vielleicht. Der Vorfall zeigt aber, wie schwierig das Geschäft mit sanktionierten Staaten werden kann.
Trotzdem scheint der Börsengang kein Hochrisiko-Geschäft für Anleger. Ottobock ist die Nummer eins in seinem Markt. Analysten erwarten weiter starkes Umsatzwachstum.
Die Preisspanne für die Aktien liegt zwischen 62 und 64 Euro. Der Börsenwert läge damit bei vier bis 4,2 Milliarden Euro, deutlich unter den früher kolportierten sechs Milliarden Euro. Würden die Aktien am oberen Ende der Preisspanne zugeteilt, lägen die Erlöse bei rund 673 Millionen Euro. Allerdings: Nur knapp 100 Millionen Euro davon gingen an die Firma. Den Rest erhielte die Familie Näder. Im März 2024 kaufte sie 20 Prozent der Ottobock-Aktien von der Private-EquityFirma EQT zurück. Jetzt muss Näder dem Vernehmen nach den Preis refinanzieren. Deshalb brauche er Geld, so Beobachter. Die künftigen Aktionäre sitzen bei Ottobock jedoch unbequem. Anders als der Komplementär haben sie angesichts der Rechtsform der KGaA bei ihrer Beteiligung keine große Macht. Der Fan teurer Yachten kann damit weiter weitgehend ungestört durchregieren.