Von Hannah Krolle, Handelsblatt, 29.09.2025. Original article here.
Börsengang: Das sind die kritischen Punkte des Ottobock-IPO
In der nächsten Woche will der Prothesenhersteller an die Börse gehen. Mit bis zu 4,2 Milliarden Euro soll das Unternehmen bewertet werden. Experten sind allerdings skeptisch.
Frankfurt. Der weltgrößte Prothesenhersteller Ottobock plant seinen Börsengang nun für den 9. Oktober an der Frankfurter Börse. Das Familienunternehmen aus Duderstadt in Niedersachsen soll mit bis zu 4,2 Milliarden Euro bewertet werden. Das teilte Ottobock am Montag mit.
Die Aktien werden gemäß dem Börsenprospekt von Dienstag an bis zum 7. Oktober in einer Spanne von 62 bis 66 Euro angeboten. Insgesamt läge der Emissionserlös laut Ottobock zwischen 766 und 808 Millionen Euro. 100 Millionen davon gehen als Kapitalerhöhung an das Unternehmen selbst.
Der Hamburger Milliardär Klaus Michael Kühne hat sich zudem verpflichtet, dabei allein Aktien für 125 Millionen Euro zu kaufen. Als zweiter Ankeraktionär tritt ein Fonds des US-Vermögensverwalters Capital Group auf, der Papiere für 115 Millionen Euro zeichnen will. Der erwartete Streubesitz, also die Aktien, die frei an der Börse gehandelt werden, werde bei rund 19 Prozent liegen.
Lange war über die Bewertung spekuliert worden, teilweise mit Summen von rund sechs Milliarden Euro, die Experten allerdings als deutlich überhöht kritisierten.
Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), sagt:,Die angestrebte Bewertung ist weiterhin kräftig, weil sie zu wenig Kurssteigerungspotenzial für die einsteigenden Anleger bietet. Ich hätte uns allen und dem Finanzplatz Frankfurt gewünscht, dass wir nach der langen Durststrecke ein IPO sehen, das weniger Anlass zur Zurückhaltung bietet."
Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), ergänzt:,Die Bewertung ist sicherlich nicht günstig, eher am oberen Rand dessen, was Investoren dafür bereit sind zu zahlen. "
Im Kern kritisieren Experten die folgenden Faktoren:
Neuinvestoren haben ein begrenztes Mitspracherecht: Chef Hans Georg Näder will Ottobock, juristisch Ottobock SE & Co. KGaA, als Kommanditgesellschaft auf Aktien an die Börse bringen. Das hat vor allem Vorteile für den Komplementär, die Familienholding von Näder. Sie steht im alleinigen Besitz der Familie. Die operative und strategische Leitung könnte also bei Näder bleiben.
Die neuen Aktionäre hielten zwar Anteile an der KGaA, könnten Dividende beziehen und auf der Hauptversammlung abstimmen. Sie hätten aber kein Mitspracherecht bei zentralen Geschäftsbeschlüssen des Unternehmens wie etwa Satzungsänderungen. Auch die Abwahl der Näder Holding könnten sie nicht erzwingen.
Aktionärsschützer machen sich daher stark für eine andere Rechtsform: So sagt Tüngler von der DSW:,Die Struktur der KGaA sichert Näder die Macht." Der Aktionärsschützer findet den begrenzten Einfluss neuer Investoren “nicht zeitgemäß”. Die gewählte Rechtsform mache deutlich, welche Interessen den Börsengang prägten: Geld einzusammeln, ohne Macht, Einfluss oder Kontrolle abzugeben, kritisiert der Aktionärsschützer.
Auch sei der Aufsichtsrat in seinen Rechten eingeschränkt, ergänzt Bauer von der SdK. Dieser könne die Geschäftspolitik nicht maßgeblich beeinflussen, weil der Vorstand nicht durch ihn, sondern von der Komplementärin - also der Näder Holding - bestellt wird. Schließlich könnten die Aktionäre auch nicht die Abwahl des Komplementärs, der Näder Holding, erzwingen.
Für einen Börsengang wäre eine Aktiengesellschaft (AG) die geeignetere Rechtsform, sagt Bauer.,Ein Wechsel in diese Rechtsform wäre möglich und wünschenswert gewesen", sagt er. Zwar könnte das Unternehmen auch noch an der Börse die Rechtsform wechseln, das sei aber unwahrscheinlich.
Auch Thomas Fräbel, Partner der Kanzlei Rödl & Partner, kritisiert ebenfalls das beschränkte Mitspracherecht der Neuinvestoren:,Der IPO stellt einen Balanceakt zwischen den Kontrollinteressen der Familie und dem Einfluss der neuen Anleger dar.'
Auf die Kritik angesprochen betont das Unternehmen, die von Ottobock gewählte Rechtsform sei eine “seit Jahrzehnten bewährte und von Stakeholdern (Anm. der Redaktion: Interessengruppen) geschätzte Rechtsform”, die auch von börsennotierten deutschen Unternehmen mit familiärem Hintergrund genutzt werde. Ottobock führt als Beispiele unter anderem den Mainzer Glasspezialisten Schott Pharma li-21 und die Fondstochter der Deutschen Bank li-21, DWS, an.
In anderen börsennotierten Familienunternehmen ist der Einfluss Einzelner geringer: Ein genauer Blick zeigt aber: Die Struktur der genannten Unternehmen gilt als weitaus weniger umstritten als die von Ottobock.
Schott Pharma AG & Co. KGaA gehört vollständig zur Schott AG. Diese steht wiederum im Eigentum der Carl-Zeiss-Stiftung. Es besteht also kein persönlicher Einfluss des Unternehmenseigners auf die Entscheidungen von Schott Pharma.
Hinter der DWS Group GmbH & Co. KGaA steht als haftende Gesellschafterin die DWS Management GmbH. Die Gesellschaft wiederum gehört zur Deutschen Bank - und wird nicht, wie bei Ottobock, von einem Familienunternehmer kontrolliert.
Die Kapitalerhöhung ist nach Ansicht von Aktionärsschützern zu niedrig: 2017 gab Näder 20 Prozent der Anteile an den Finanzinvestor EQT ab. Der Plan war, das Unternehmen gemeinsam an die Börse zu bringen. Stattdessen kaufte die Näder Holding die Anteile aber im vergangenen Jahr vollständig zurück. Seitdem ist Ottobock wieder ein reines Familienunternehmen.
Näder finanzierte den Rückkauf mit teuren Krediten. Die Höhe soll inklusive Zinsen, die zum Laufzeitende des Darlehens fällig werden, bei 1, 1 Milliarden Euro gelegen haben. Der IPO soll Finanzkreisen zufolge mehrheitlich dazu dienen, dieses Darlehen abzulösen.
Ottobock wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern. Allerdings reicht der nun angepeilte Emissionserlös nicht aus, die kolportierte Summe vollständig zu tilgen. Beobachter erwarten daher, dass Näder in Zukunft weitere Anteile an Ottobock auf den Markt werfen könnte.
Die 100 Millionen Euro aus der Kapitalerhöhung will das Unternehmen unter anderem nutzen, um weiter zu wachsen, Fusionen und Übernahmen zu tätigen und die Bilanzstruktur zu stärken. Konkret plant Ottobock Investitionen in neue Technologien, etwa in Produkte, die an der Schnittstelle von Mensch und Maschine liegen.
Zahlreiche Experten kritisieren die Höhe der geplanten Kapitalerhöhung - insbesondere im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Börsengangs. Damit fließen weite Teile der Erlöse aus dem IPO nicht an das Unternehmen selbst, sondern an den bisherigen Eigentümer.
Aktionärsschützer Tüngler sagt: “Eine Kapitalerhöhung von 100 Millionen Euro ist für eine Wachstumsstory viel zu wenig. Es drängt sich auf, dass das IPO vor allem für den Ausstieg des Altaktionärs durchgeführt wird, um die Geschäftsrisiken auf andere, neue Investoren abzuwälzen.”
Gerade bei Firmen wie Ottobock, die stark auf Innovation und technischen Fortschritt setzen, wäre eine größere Kapitalerhöhung wünschenswert gewesen, ergänzt SdKVorstandschef Bauer.
Das Unternehmen kommentiert: “Ottobock ist solide durchfinanziert, schafft sich aber mit der Kapitalerhöhung weitere finanzielle Flexibilität. Mit dem avisierten Streubesitz soll zudem eine attraktive Liquidität der Aktie hergestellt werden.”
Das Russlandgeschäft könnte der Reputation schaden: Für den Prothesenhersteller ist Russland ein wichtiger Absatzmarkt. In der Vergangenheit wurde in verschiedenen deutschen Medien das Geschäft der Firma in dem Land kritisiert. Die “Wirtschaftswoche” berichtete zuletzt mit Verweis auf russische Datenbanken, dass Ottobock seit 2023 Waren nach Russland verschickt habe, die einem Ausfuhrverbot der Europäischen Union als Folge des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine unterliegen, etwa Batterieladegeräte sowie Datenempfangs- und Übertragungsgeräte.
Ottobock bestätigt, dass das Unternehmen die Waren exportiert hat, verweist aber auf Einzelausfuhrgenehmigungen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).Ottobock versorge in Russland Zivilisten, habe keine Verträge mit dem Militär und nehme an keinen militärischen Ausschreibungen teil, sagt die Sprecherin des Unternehmens.,,In Russland versorgen wir seit rund 30 Jahren die Zivilgesellschaft und haben nicht vor, daran etwas zu ändern."
Anwalt Fräbel von Rödl & Partner sagt:,In Russland Geschäfte zu machen, ist nicht vollständig verboten. Aber auch erlaubte Tätigkeiten in Russland können ein Reputationsthema sein. Das könnte Investoren abschrecken.'
Positiv für Neuinvestoren sehen Experten indes den Einstieg der beiden Ankeraktionäre. Die Altaktionäre trennen sich nach Aussage von Aktionärsschützer Bauer im Rahmen des IPO zudem von weniger Anteilen als zunächst erwartet wurde. Das senkt seiner Ansicht nach das Risiko eines starken Kursverfalls zu Beginn deutlich.